Qualifizierung/ Validierung von Einwänden

In der Soziokratie gibt es keinen eigenen Prozess zur Qualifizierung/Validierung von Einwänden.
Wenn eine Person sagt: „Das ist ein schwerwiegender Einwand!“, dann ist es solange ein schwerwiegender Einwand, bis die Person das zurückzieht. Keiner kann sie überstimmen. Weder der Moderator, noch die Führungskraft, noch das Team. Das Individuum hat hier eine sehr hohe Macht und Verantwortung.

Und prinzipiell gehört der Einwand dem Kreis, d.h. der Einwand-Geber schenkt diese Sichtweise dem Kreis, der dann dafür zuständig ist, den zu integrieren. Und meiner Erfahrung nach lässt sich (fast) jeder Einwand gut verstehen und integrieren.

In S3 und der Holakratie gibt es standardmäßig ein Verfahren, die zuerst die Gültigkeit des Einwandes bestimmen. In S3 entscheidet der Kreis im Konsent, ob dieses Argument als Einwand qualifiziert wird, in der Holakratie gibt es ein paar Fragen, die dem Einwand-Geber gestellt werden und wenn er/sie eine dieser Fragen mit „Ja“ beantwortet, ist der Einwand nicht validiert.

In der Holakratie gibt es ein Validierungsverfahren für Vorschläge und für Einwände.

Zur Validität von Vorschlägen [1]

Damit ein Vorschlag valide ist, sollten folgenden Bedingungen erfüllt sein. Ein Vorschlag sollte

  • die Spannung der Einbringerin reduzieren.
  • dem Einbringer helfen, besser den Zweck zu erfüllen oder seine Rolle ausfüllen.
  • zu mehr Klarheit in der Governance des Kreises führen.
  • zu einer Wahl führen.

Der Facilitator kann die Gültigkeit eines Vorschlages prüfen.

Dennis Wittrock schreibt dazu: „Vorschläge können auf Anfrage auf Gültig­keit getestet werden. Wenn sie keine reale Grundlage in einer realen Spannung haben, oder nicht aus einer Rolle hervorgebracht werden, die der Vorschlagende füllt, können sie als invalide betrachtet werden. Ge­meinhin lässt man aber erst mal alle Vorschläge zu, gerade am Anfang. Ob der Vorschlag dann „ungültig“ ist, zeigt es sich spätestens in der Einwand-Runde.“[2]

Zur Validität von Einwänden[3]

Jeder Einwand wird einem Validitäts-Test unterzogen, den die Moderation durchführt. Dabei stellt sie die folgenden Fragen (siehe Abb. 53) und die Einwand-Einbringerin sollte diese dann beantworten. Nur wenn alle Fragen mit „Ja“ beantwortet werden, gilt der Einwand als valider Einwand und wird behandelt.

Wichtig scheint auch: Die Moderation entscheidet nicht, ob der Einwand valide ist oder nicht, sondern testet es anhand der Fragen.

Brian Robertson schreibt dazu: „Beachten Sie, dass Sie als Facilitator beim Prüfen der Einwände mit einer gewissen Leichtigkeit vorgehen. Ihre Rolle besteht nicht darin, Schlussfolgerungen über den Wert der geäußerten Ar­gumente zu ziehen, sondern einfach die potenziellen Einwände aus einer Haltung der wissenschaftlichen Neugier zu prüfen, bis klar wird, ob der Einwand berechtig ist oder nicht. Der Einwand-Geber wird Ihnen sagen, ob der Einwand berechtigt ist. Wenn jemand konkrete, begründete Argumente vorbringt, warum der Ein­wand jedes Kriterium erfüllt, dann ist er gemäß der Holakratie-Verfassung berechtig, egal ob Sie mit den Argumenten übereinstimmen oder nicht. Als Facilitator beurteilen Sie nur, ob für jedes Kriterium ein konkretes, begründetes Argument vorgebracht wurde; Sie haben nicht die Autorität, den Wert dieser Argumente zu beurteilen.“ [4]

Dennis Wittrock meint dazu: „Der Facilitator gibt dem Einwendenden Test­fragen, damit dieser selbst beurteilen kann, ob sein Einwand gemäß den Kriterien der Verfassung gültig ist, oder nicht. Der Facilitator beurteilt auch nicht die Qualität der Argumentation, sondern nur ob der Versuch einer Argu­men­tation vorgebracht wurde oder gänzlich ausgeblieben ist.“[5]

Die Einwand-Geberin muss der Moderation bei jeder Testfrage ein Argu­ment oder eine Begründung liefern. Solange die Moderation diese Begrün­dung als Begründung anerkennt, unabhängig von der Güte oder der Rele­vanz des Argumentes, muss sie das als „bestanden“ annehmen. Wenn der Einwand-Geber für alle vier Fragen ausreichende Begründungen in dem Sinne geben kann, dann ist der Einwand valide.

Sollte die Einwand-Geberin kein als „Argument“ zu verstehendes State­ment abgeben können, kann die Moderation den Einwand als nicht valide ablehnen. Ähnliches hat mir Brian Robertson auf der Konferenz Next-Or­gani­sation[6] bestätigt.

Qualifizierung von Einwänden in S3

In S3 entscheidet die Gruppe im KonsenT, ob ein Argument als Einwand qualifiziert wird. Anders als in der Soziokratie ist damit die Gruppe die höchste Macht. Wenn eine Person der Gruppe meint, dieses Argument reicht nicht aus, dann gibt es wieder einen Einwand gegen den Einwand und wird von der Gruppe qualifiziert.

Dieser Prozess funktioniert, wenn er gut moderiert wird. Es braucht meistens etwas Zeit, bis die Gruppe das Verfahren wirklich verstanden hat und es kann helfen, die unterschiedlichen Ebenen mit Zahlenkärtchen auseinander zu halten: 1 = erster Einwand, 2 = zweiter Einwand auf den ersten Einwand, 3 = dritter Einwand auf den zweiten Einwand…
In der Praxis verwischen Qualifizierung von Einwänden und Integration von Einwänden dann bei komplexeren Themen. Die Lösung ist häufig eine Veränderung des Vorschlages, der alle Beteiligten ihren KonsenT geben.

Quelle: S3 – Einwände

Adaptierte Validitätsprüfung in der Soziokratie (als Hilfe)

In der Soziokratie kann man eine Valditätsprüfung im KonsenT einführen, wenn das hilfreich scheint. Für mich können bestimmte Fragen den Einwand-Geber unterstützen, sich innerlich bewusster zu werden, was da als Spannung sich meldet. Dabei bleibt die letzte Entscheidung beim Einwand-Geber, ob der schwerwiegende Einwand aufrecht bleibt oder nicht. Für jede Frage gibt es ein Verfahren, wie mit dem Einwand umgegangen werden kann.


[1] Vgl. Verfassung, 3.2.2. und 3.2.3 sowie Robertson, Brian: Holacracy, S.105/06, sowie die Argumente für diese Restriktionen auf S.112-13.

[2] Persönlicher Beitrag von Dennis Wittrock (Korrekturhinweis für das Skript).

[3] Vgl. Robertson auf: www.youtube.com/watch?v=lVyEfQdm_kE sowie die Verfassung  3.2.4. und 3.2.5.

[4] Aus: Robertson, Brian: Holacracy, S. 116.

[5] Persönlicher Beitrag von Dennis Wittrock (Korrekturhinweis für das Skript – Juli 2015).

[6] Vgl. www.hernstein.at/future-labs/das-war-das-future-lab-2015/